Warum Wahrheit im Pferdetraining (Tierwohl & Vertrauen) alles verändert.

Wahrheit im Spiegel der Pferde

 

Wenn wir mit Pferden zusammen sind, begegnen wir nicht nur einem Tier – wir begegnen auch uns selbst. Pferde sind Meister darin, uns einen Spiegel vorzuhalten. Sie spüren unsere Stimmungen, unsere Absichten und unsere innere Klarheit oft besser, als wir es selbst tun. Und genau hier beginnt die Frage: Leben wir im Umgang mit ihnen in der Wahrheit?

Was bedeutet Wahrheit im Pferdeumgang?

Wahrheit heißt nicht nur, Fakten zu kennen. Es geht darum, dass unser Handeln, unsere Haltung und unser Inneres übereinstimmen. Sind wir wirklich ehrlich mit uns selbst? Oder verstecken wir manchmal unsere wahren Wünsche hinter Methoden, Ausrüstung oder ehrgeizigen Zielen?

Ein Pferd merkt sofort, ob wir präsent und authentisch sind – oder ob wir mit Druck, Zwang oder Unruhe versuchen, ein Ergebnis zu erzwingen. Ein fröhliches, williges Pferd, das gerne mitmacht, entsteht nicht aus Härte, sondern aus Vertrauen und Beziehung.

 

Und noch mehr: Wenn wir in der Wahrheit handeln, schenkt sie uns Kraft. Sie trägt uns, gibt uns ein Gefühl von Leichtigkeit und Wohlbefinden. In ihr zu leben bedeutet, authentisch zu sein – mit uns selbst, mit unserem Pferd, mit dem, was uns wirklich wichtig ist.

Beispiel 1: Elli meine Mini Tinker Stute - zu viel Druck, zu wenig Wahrheit!

Als ich meine junge Tinkerstute mit sieben Jahren bekam, habe ich schon beim zweiten Mal Bodenarbeit versucht, sie im Galopp zu fördern. Doch sie reagierte nervös und begann mit Headshaking. Ich habe sofort abgebrochen.

Später wurde mir klar: In ihrer Reitschul-Vergangenheit war sie oft eng ausgebunden gelaufen. Ich gehe heute davon aus, dass man damit vermutlich ihr Headshaking unterdrücken wollte – genauere Informationen habe ich nicht erhalten. Meine Übungen könnten also alte Erinnerungen und Stress in ihr getriggert haben.

Am dritten Tag habe ich die Arbeit bewusst anders gestaltet: ruhiger, achtsamer, ohne Druck. Das Headshaking verschwand – die Harmonie kam zurück.

 

Diese Erfahrung zeigte mir: Wahrheit heißt, ehrlich zu reflektieren und bei der Arbeit  mit Pferden sich immer wieder neu einzustimmen und zu dosieren. Fehlschritte sind keine Niederlage, sondern Lernchancen – wenn wir bereit sind, hinzuschauen.

Beispiel 2: Meine New Forest Stute Danaria - für das Pferd eintreten!

 

Noch deutlicher habe ich die Bedeutung von Wahrheit mit meiner New-Forest-Stute Danaria erfahren. Sie war seit drei Jahren eine verlässliche Partnerin im Unterricht.

 

Eines Tages sollte ein ehrgeiziges Mädchen im Unterricht galoppieren. Doch plötzlich begann Danaria zu steigen. Das Kind fiel, setzte sich aber gleich wieder auf – unbedingt wollte es weitermachen. Ich ließ die Wahl, doch beim zweiten Mal brach ich ab. Um selbst herauszufinden, was los war, setzte ich mich auf – und auch bei mir stieg Danaria schon nach wenigen Metern.

 

Ich stieg sofort ab und erklärte der Familie, dass etwas nicht stimme. Ich entschuldigte mich, dass der Unterricht enden müsse, und betonte, dass Danaria so etwas noch nie getan hatte. Die Eltern waren irritiert: Sie hatten offenbar erwartet, dass ich das Pony „maßregele“ oder „zureitre“. Aber mein Gefühl sagte mir: Hier stimmt etwas nicht, und mein Pferd braucht Schutz, nicht Strafe.

 

Ein Osteopath stellte kurz darauf fest, dass Danaria eine Blockade an den Rippen hatte. Das bedeutete: Schmerzen! Wahrscheinlich hatte der zusätzliche Druck durch den Ehrgeiz des Kindes die Situation verschärft und sie zum Steigen gebracht. Nach einer Woche Pause und Behandlung war das Problem verschwunden.

 

Für mich als Reitlehrerin war das ein Moment der Wahrheit. Zuerst schämte ich mich fast – mein Pferd hatte „nicht funktioniert“. Doch in Wahrheit hatte Danaria mich auf ihre Art beschützt: Sie zeigte mir klar, dass hier etwas nicht stimmt. Und sie zwang mich, auch vor Kund*innen für sie einzutreten.

Im Nachhinein war ich dankbar. Denn ich habe meine Unterrichtsgestaltung geändert: Die Kinder sollten noch mehr verstehen lernen, dass Ehrgeiz und Druck uns nicht zum Ziel bringen. Dass weniger mehr ist. Und dass die Wahrheit manchmal unbequem ist – aber uns zu besseren Pferdemenschen macht.

Wahrheit in der Reitschule – zwischen Kommerz, Tierwohl und ethischem Anspruch

Die Frage nach der Wahrheit stellt sich nicht nur im persönlichen Training, sondern auch im größeren Rahmen – besonders in Reitschulen. Dort treffen viele Menschen auf Pferde, oft zum allerersten Mal. Der Umgang dort prägt die Wahrnehmung von Beziehung und Respekt entscheidend.

 

Pferde nicht als „Fahrräder“ behandeln

 Leider werden Pferde in vielen Reitschulen wie Objekte behandelt: schnell angeschnallt und vorbereitet – „abgeholt“ und „abgestellt“. Unterricht findet oft ohne echte Begegnung statt – das Tier als Individuum bleibt auf der Strecke. Kritiker*innen weisen darauf hin, dass diese Praxis dem Pferdewohl widerspricht und Stress verursacht (vgl. PETA Deutschland, 2024).

 

Pferde als Lehrende – und nicht nur als Mittel zum Zweck

 Forschungen zeigen, dass Pferde keineswegs stumme Partner sind. Sie reagieren aktiv auf ihre Umgebung und auf die Reiterinnen – und nehmen so Einfluss auf den Verlauf einer Reitstunde. Achtsame Lehrkräfte begreifen Pferde daher als Co-Lehrende: Sie sind mehr als Mittel zum Zweck, sondern tragen entscheidend zum Lernprozess bei (vgl. Hausberger & Kolleginnen, Animals, 2025).

 

Der Paradigmenwechsel: Ethisch, evidenzbasiert, pferdeorientiert

 Ein europäischer Workshop betonte, dass die Zukunft des Reitsports nur gesichert ist, wenn Ausbildungseinrichtungen das Tierwohl ins Zentrum stellen. Es braucht evidenzbasierte Ausbildung, klare ethische Standards und Transparenz – nur so bleibt Reiten gesellschaftlich akzeptabel (vgl. Lesimple et al., Animals, 2025).

 

Und noch ein weiterer Punkt gehört zur Wahrheit: Reiten ist ein teurer Sport. Pferde kosten Geld – Futter, Tierarzt, Hufpflege, gute Haltung. Reitschulen stehen unter Druck, diese Kosten zu stemmen. Deshalb braucht es auch ein Umdenken bei den Reitschülern und Eltern: Wer reiten will, sollte bereit sein, das angemessen zu bezahlen. Nicht nur für die eigene Erfahrung, sondern vor allem für das Tier.

Wahrheit als Weg der Beziehung

Im natürlichen Umgang mit Pferden geht es nicht darum, alle Hilfsmittel zu verbannen. Sondern darum, dass unser Handeln im Einklang mit Respekt, Verständnis und Authentizität steht. Ein Zügel, ein sanftes Gebiss, eine feine Hilfe kann Ausdruck von Kommunikation sein – oder von Kontrolle. Der Unterschied liegt in unserer inneren Haltung.

Wenn wir bereit sind, die Wahrheit zu sehen – über uns selbst, über unser Pferd, über unsere Beziehung und über das System, in dem wir uns bewegen – dann öffnet sich ein Weg, der nicht auf Zwang, sondern auf Freude und Freiwilligkeit basiert. Und die Wahrheit schenkt uns dabei nicht nur Orientierung, sondern auch ein tiefes Wohlgefühl: das Wissen, dass wir im Einklang mit uns selbst und mit unserem Tier handeln.

Einladung zur Reflexion

Vielleicht lohnt es sich, beim nächsten Kontakt mit deinem Pferd innezuhalten und zu fragen:

• Bin ich heute ganz ehrlich mit mir selbst und meinem Tier?

• Verfolge ich mein Ziel auf Kosten der Beziehung – oder kann ich loslassen?

• Wie gehe ich mit dem Wert von Reitstunden und Pferdearbeit um – zahle ich nur für meine „Leistung“ oder wertschätze ich auch das Tier dahinter?

Denn am Ende ist es genau diese Ehrlichkeit, die Vertrauen, Leichtigkeit und Freude wachsen lässt – für uns, für die Reitschulen und vor allem für die Pferde.

Quellenangaben

• PETA Deutschland (2024): Pferde reiten – Hintergründe und Kritik. Online: peta.de/themen/pferde-reiten

• Hausberger, M. et al. (2025): Horse Riders, Riding Instructors and Horses: A Triangular Educational System. In: Animals, MDPI. Online: mdpi.com/2076-2615/15/2/183

• Lesimple, C. et al. (2025): The Role of European Equestrian Institutions in Training Professionals: Outcomes from a Workshop on Horse Welfare in Equestrian Education. ResearchGate. Online: researchgate.net/publication/387947230